Schatzkammer voller Überraschungen

Herzogliches Museum Gotha

Gotha ist eine große Kunststadt, mit Betonung auf großer Kunst. Vor allem im Herzoglichen Museum ballen sich Hochkaräter. Da hängen Werke von Cranach und Rubens, stehen Skulpturen von Houdon, locken Lack- und Porzellanarbeiten internationales Publikum. Und auch wenn die Sammlungen jahrhundertealt sind, werden sie zeitgemäß in Szene gesetzt. Hier zu lesen: Die Lieblingsstücke des Kurators.

Gästebücher vermitteln stets interessante Einblicke, geben sie doch Aufschluss darüber, was dem Besuch (nicht so) gefällt – und zuweilen auch über deren Herkunft. Im Fall des Herzoglichen Museums finden sich Einträge aus aller Welt, mit auffälliger Häufung aus Südkorea, Japan, Taiwan. Timo Trümper, Ausstellungskurator und Direktor der Abteilung Wissenschaft und Sammlungen, berichtet zudem von Delegationen aus Fernost. Deren Augenmerk gelte vor allem den japanischen und chinesischen Sammlungen, die kostbare Gewänder und Accessoires, Malereien, ostasiatisches Porzellan und historische Keramiken umfassen. Extra-Hingucker: die aufwendig verzierten Lackarbeiten, für deren staubfreie Bearbeitung die Künstler sogar aufs Meer segelten. Da weiß man den Wert etwa einer Tabakbüchse mit Goldverzierung oder einer Truhe mit Perlmutt noch mehr zu schätzen!

Generell findet Trümper: „Die überregionale Aufmerksamkeit ist, selbst wenn etwa das Chinesische Kabinett um das Jahr 1800 noch umfassender war, noch heute überaus verdient.“ Mit dem Schlagwort „Thüringer Louvre“ hadert er zwar, aber widerspricht auch nicht, wenn man die Kunstsammlung als wertvollste des Freistaats bezeichnet.

Vom Schloss ins eigene Museum

Es ist ja auch einiges zusammengekommen! Über Jahrhunderte betätigten sich die ernestinischen Machthaber des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg, das 1825 aufgeteilt wurde und unter anderem an Sachsen-Coburg fiel, als Sammler. Ernst der Fromme legte den Grundstock, seine Nachkommen eiferten ihm in puncto Kunstsinnigkeit nach. Gut zu wissen: Die erste Heimat herzoglicher Habschaften befand sich auf Schloss Friedenstein. Erbaut im 30-jährigen Krieg war es nicht nur die früheste, sondern auch größte frühbarocke Schlossanlage Deutschlands. Als die Sammlungen beständig anwuchsen, wuchs auch der Wunsch nach einem repräsentativen Museumsneubau. So entstand nebenan und inmitten der ältesten englischen Gartenanlage auf dem Kontinent das Herzogliche Museum im ebenso eleganten wie pompösen Stil des Historismus. Trümper betont: „Selten erreichten höfische Kunst und Kultur des 17. bis frühen 20. Jahrhunderts so komplett und unbeschadet die Gegenwart. Es gab kaum Brände, keine Plünderungen.“ Nur einen Raub. Doch dazu später.

Zur Museumseröffnung 1879 wurden über 100.000 Objekte präsentiert, in Ermangelung von Depots gänzlich öffentlich ausgestellt. Die Folge: überbordende Räumlichkeiten. Da sieht es in dem 2013 grundsanierten Gebäude viel luftiger aus. Von 1,1 Millionen Exponaten sind „nur“ rund sechshundert zu sehen. Immer noch viel. Daher bitten wir Trümper um seine Top 10.

Ewig aktuell: das Thema Liebe

Mit den japanischen Lackarbeiten ist ein Highlight schon genannt. Ein weiteres ist der Gothaer Tafelaltar, „mit 162 Tafeln eines der bildgewaltigsten Exponate der Reformationszeit“. Wahrlich imposant, wie Heinrich Füllmaurer Jesus‘ Leben und Wirken aufbereitete, ein Wimmel-Comic mit ernstem Inhalt, wenn auch mit leseunfreundlicher Übergröße. Besser in Augenschein nehmen lässt sich das weltberühmte „Gothaer Liebespaar“ nebenan, ein ebenso mysteriöses wie künstlerisch herausragendes Gemälde der Vor-Dürer-Zeit. Warum es so wertvoll ist? „Es gibt wenige Bilder aus jener Zeit, zudem ist es ausgesprochen gut erhalten, repräsentativ, äußerst kunstvoll und das Thema Liebe ohnehin zeitlos.“ Ob die Abgebildeten ein reales Abbild einer Liebesbeziehung am Hofe darstellen oder eine idealisierte? „Immer wieder gibt es neue Interpretationen, die Faszination lässt nicht nach.“

Überhaupt die Gemäldesammlung: ein Who’s who der altdeutschen und niederländischen Malerei, von Frans Hals über Holbein, van Goyen, und Tischbein bis Caspar David Friedrich. Der Star jedoch ist Lucas Cranach d.Ä. mit etlichen Hauptwerken. Konkret: „Gesetz und Gnade“, „Judith an der Tafel des Holofernes“, ein Paradebeispiel protestantischer Propaganda, sowie „Christus und Maria“, noch so ein Kandidat für Trümpers Top 10. „Allein die Technik, wie hier auf Pergament gemalt wurde: überwältigend! Ein Prototyp für die Jesus-Darstellung.“

Adam, Eva und der „Muskelmann“

Dank moderner Inszenierung – wechselnde Raumfarben, stilvolle Beleuchtung, wenig Ablenkung – kommen die Kunstwerke generell groß raus, zudem sind manche an sich groß. Etwa der bronzene „Farnesische Stier“ von Adriaen de Vries, ein Meisterwerk der Bildkunst. In dem verschlungenen Standbild finden sich jede Menge mythologische Figuren und Andeutungen. Dreimal kleiner und auf zwei Personen reduziert kommt Conrat Meits über 500 Jahre altes Akt-Modell von Adam und Eva aus Buchsbaum daher, „eine sexuell aufgeladene Darstellung, ein fantastisches Kunstkammerstück“. Ebenfalls in die Exponate-Charts schafft es Jean-Antoine Houdon, in Gotha befindet sich die weltgrößte Sammlung seiner Werke außerhalb Frankreichs. Wie es dazu kam? Freundschaft! Der Bildhauer schickte Herzog Ernst II. einst drei Kisten voller Skulpturen, Grafiken und Münzen. 22 Originalwerke Houdons sind heute zu sehen. Die Statue des „Muskelmanns“ gilt dabei als so detailgenau, dass sie mehrfach kopiert und zum Anatomiestudium an Kunstakademien herangezogen wurde.

Ein weiterer Best-of-Kandidat: der top erhaltene Glockenkrater. Das tönerne Geschenk an das Herzoghaus zeigt ein Gelage mit Dionysos. Trümper urteilt: „Typisch für eine fürstliche Sammlung, weil es sich um ein hochkarätiges Einzelstück handelt und das Privatinteresse an der Antike von einem der Gothaer Prinzen widerspiegelt.“ Das trifft auch für die ägyptische Abteilung zu, die als Gesamtes das Prädikat „besonders wertvoll“ verdient. Nicht wegen einzelner Artefakte – man sieht zwar Tiermumien, Amulette, Sarkophage –, sondern weil es sich um eine der ältesten Ägyptensammlungen Europas handelt und in diesem Umfeld etliche wissenschaftliche Scoops stattfanden. So wie die im 18. Jahrhundert gefertigten Korkmodelle antiker Bauten nicht nur durch ihre Ästhetik begeistern, sondern auch die korrekte Darstellung römischer Stätten und Ruinen. Preisverdächtig: der Konstantinsbogen.

Kunstraub mit Happy End

Damit wären die Top 10 voll. Enttäuschung in Trümpers Gesicht. Was ist mit den Majolika des 16. Jahrhunderts, dem Meissener Porzellan des 18. Jahrhunderts, der Fächer-Sammlung, den sechs Figuren der Commedia dell’arte? Über die Herzogsfamilie, die durch Alberts Hochzeit mit Queen Victoria 1840 in Europas erste Adelsliga aufstieg, gäbe es ohnehin zig Anekdoten zu erzählen. Die über den größten Kunstraub der DDR ist aber ein Muss. 1979 entwendeten Diebe fünf millionenteure Gemälde, unter anderem von Frans Hals und Jan Brueghel. 40 Jahre galten sie als verschollen, bis sie 2019 überraschend auftauchten und nun wieder in Gotha zu bestaunen sind. Was im Gästebuch durchaus honoriert wird.

Das Wichtigste in Kürze
Kunst im Schnelldurchlauf, das versprechen die jeden zweiten Sonntag (von Mai bis Oktober) angebotenen öffentlichen Kurzführungen. Praktisch: Der Guide ist im Eintrittspreis enthalten. Und selbst wenn 45 Minuten bei Weitem nicht reichen, um dem Museum gerecht zu werden, vermitteln sie doch einen ersten Eindruck – und wecken womöglich das Interesse für weitere Besuche.

 

 

Titelbild: ©Lutz Ebhardt, Friedenstein Stiftung Gotha

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