Weimar ist eine Kulturmetropole im Taschenformat

Im Gespräch mit Rolf C. Hemke – Leiter des Kunstfest Weimar

Das Kunstfest Weimar ist einer der kulturellen Höhepunkte des Weimarer Sommers. International gefeierte Künstler treffen auf die junge, kreative Szene der Stadt und verwandeln die hiesigen Straßen in eine ebenso pulsierende wie inspirierende Bühne. Im Interview gibt der künstlerische Leiter des Festivals, Rolf C. Hemke, spannende Einblicke hinter die Kulissen und verrät nebenbei, mit welcher Berühmtheit vergangener Zeiten er gern einen Kaffee trinken würde.

Rolf C. Hemke, geboren 1972 in Köln, ist künstlerischer Leiter des Kunstfest Weimar. Er studierte Rechtswissenschaften sowie Germanistik und Philosophie und war zuvor als Festivalleiter und Kurator, Dramaturg und Kulturjournalist tätig.

Herr Hemke, das Kunstfest Weimar wurde bereits 1990 gegründet. Anfangs war es vor allem dem Wirken berühmter Weimarer Persönlichkeiten wie Schiller und Bach gewidmet. Über die Jahre und auch durch Sie als künstlerischen Leiter hat es eine konzeptionelle Neuausrichtung erfahren. Wie gestaltet sich diese und was möchten Sie damit erreichen?

Die von mir ab 2019 gewählte konzeptionelle Neuausrichtung ist eine Besinnung auf den Namen, aber ganz bewusst auch auf Aspekte verschiedener Konzeptionen meiner Vorgänger. Wir versuchen, das zeitgenössische künstlerische Schaffen über alle Disziplinen hinweg in seiner Vielfalt widerzuspiegeln, insbesondere mit Ur- und Erstaufführungen bedeutender Künstler.

Beim Festival stehen regionale und überregionale Tanz- und Theatergastspiele ebenso auf dem Programm wie verschiedene Konzertformate, Literatur, Film, bildende Kunst und Kunst im öffentlichen Raum. Das Kunstfest hat sich gegenüber allen Kunstformen geöffnet. Was ist gute Kunst für Sie?

Gute Kunst liegt im Auge des Betrachters. Hundert Zuschauer, hundert Meinungen. Ich bin auch nur einer davon, der aber das Glück hat, ein eigenes Programm zusammenzustellen. Bei den vielen Ur- und Erstaufführungen erleben wir Jahr für Jahr genauso viele Überraschungen wie unsere Besucher, deshalb ist es umso wichtiger, Künstler zu verfolgen, Konzepte zu diskutieren und zu vertrauen. Das ist eine langfristige Entscheidung, deshalb kehren manche Künstler auch immer wieder ins Kunstfest zurück. Nicht jedes Jahr, aber regelmäßig und die Zuschauer haben sie zu lieben gelernt.

Vertrauen und Freiheit gehen hier Hand in Hand, denn für diese Freiheit braucht es Vertrauen. Thüringen rückt das Thema „Freiheit“ im Jahr 2025 in den touristischen Fokus. Was bedeutet das für das Kunstfest? Welche Freiheitsaspekte greift das Programm auf? Wie spiegelt sich das Thema in Ihrer Auswahl der Genres und in den individuellen künstlerischen Beiträgen?

Unsere Programmfestlegungen erzählen viel über den Begriff der Freiheit und den Gefahren, denen unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung ausgesetzt ist. Schirmherrin wird, wie im vergangenen Jahr, die exilrussische Oppositionelle und Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa sein, die in ihrer Heimat große Unfreiheit erleben musste, bevor sie emigrierte. Wir werden mit voraussichtlich fünf Projekten erneut die Tanz- und Performance-Szene Taiwans präsentieren – einem Land das von seinem großen Nachbarn China permanent in seiner Existenz und Freiheit bedroht ist. Wir werden uns zudem mit einigen Projekten am Weimarer Faust-Jahr 2025 beteiligen – einer Figur, die sehr visionär die Freiheit des Menschen thematisiert und auch die Schattenseiten des Missbrauchs von Freiheit.

In Weimar waren große Persönlichkeiten wie Goethe, Schiller und Bach zu Hause. Noch heute ist die Stadt Zentrum von Kunst und Kultur und Bühne, Thema und Hauptakteur des Kunstfestes Weimar. Inwieweit beeinflusst die Stadtgeschichte die Programmgestaltung des Festivals?

Man kann in Weimar kein Festival ohne die Stadt planen, ohne ihren Geist, ohne die großen Persönlichkeiten, die hier ihre Spuren hinterlassen haben und ohne die Stadt als Kulisse. Weimar ist ein einmaliger Ort und eine Kulturmetropole im Taschenformat. Zu Weimar gehört für mich aber neben Glanz und Gloria auch der tiefschwarze Schlagschatten der deutschen Geschichte, an den die Gedenkstätte Buchenwald bis heute erinnert. Insoweit ist das Themenspektrum, an dem man sich abarbeiten kann, Ideen entzünden kann, denkbar breit.

Weimar feiert im Jahr 2025 Goethes Meisterwerk „Faust“. Wie nutzen Sie Ihre künstlerische Freiheit, um den „Faust“ in Szene zu setzen? Werden aktuelle gesellschaftliche Freiheitsdiskurse oder die Frage nach den Grenzen der Kunst berücksichtigt, um die Freiheit im „Faust“ zu interpretieren?

Wir werden mit einer großen „Faust II“-Paraphrase das Festival eröffnen und mit einer ebenso freien „Faust I“-Adaption am letzten Wochenende abschließen. Beide Projekte werden von international sehr renommierten südafrikanischen Regisseuren verantwortet und im weiteren Sinne eine Art postkoloniale Faust-Befragung bieten. Zudem wird es die Uraufführung einer Komödie zum Thema Faustrezeption und Schule der großen Freiburger Dramatikerin Theresia Walser geben. Weiterhin werden wir uns schrägen Momenten der Rezeptionsgeschichte, etwa Friedrich Theodor Vischers „Faust III“, widmen und Konzerte mit „Faust“-Bezügen bieten… Lassen Sie sich überraschen!

In Ihrer Laufbahn haben Sie sicher schon viele Künstler getroffen, die Sie besonders schätzen. Mit welchem Künstler aus der Vergangenheit würden Sie sich gern auf einen Kaffee verabreden und warum?

Es stimmt, in meiner Position ist man in der glücklichen Lage mit einigen der Künstler, die man besonders schätzt, tatsächlich mal einen Kaffee trinken zu können. Davon habe ich immer wieder Gebrauch machen können – und zufällig arbeiten davon auch einige für das Kunstfest. Historisch betrachtet gibt es einige Schriftsteller, mit denen ich mich schon gerne ausgetauscht hätte: Thomas Bernhard ist so jemand. Aber auch so eine historisch rätselhafte Figur wie William Shakespeare würde mich schon sehr reizen. 

 

 

Goethes Faust
2025 - Das Jubiläumsjahr in Weimar

Faust im Theater, Faust im Museum, Faust auf den Straßen – überall feiert Weimar 250 Jahre nach Goethes Ankunft dessen Hauptwerk und lädt dazu ein, sich den klassischen Stoff neu zu nähern, vieles wiederzuerkennen und vielleicht sogar das eigene Schul-Faust-Trauma – soll es ja geben - vergessen zu machen.

 

Titelbild: „Sounding Light“ vom Cloud Gate Theatre of Taiwan – Uraufführung mit der weltberühmten Tanzkompanie beim Festival 2024, ©Thomas Müller


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