Nun sag, wie hast du’s mit dem Faust?

Weimar-Spaziergang mit Peter Rauch

Weimar steht 2025 ganz im Zeichen von Goethes Meistertragödie. Mit Ausstellungen, Mitmach-Aktionen, ernstem und heiterem Spiel wird das Drama gefeiert. Ein schöner Anlass, um in der Stadt auf Faust-Spurensuche zu gehen. Mit einem, der sich auskennt – Schauspieler Peter Rauch.

Wir treffen Peter Rauch vor dem Cranach-Haus am Weimarer Marktplatz. Es ist nicht nur eines der schönsten Gebäude Weimars, sondern auch Spielstätte des Theaters im Gewölbe. Rauch, Jahrgang 1947, ist Schauspieler. Mit ihm wollen wir durch Weimar spazieren, die Stadt, in der Johann Wolfgang von Goethe 57 Jahre lebte und in der er die Tragödie über einen Gelehrten schrieb, der seine Seele für mehr Wissen und Lebensfreude an den Teufel verkauft. Mit fatalen Folgen. Goethes Faust, ein Drama in zwei Teilen, gilt als größtes Meisterwerk der deutschen Literatur. Rauch hat in drei großen Faust-Inszenierungen des Deutschen Nationaltheaters Weimar mitgewirkt. Schon als Student war er für einen erkrankten Engel eingesprungen. Seitdem hat ihn der Stoff nie mehr losgelassen.

Zur Einstimmung springt Peter Rauch auf die Bühne

Inzwischen entführt Peter Rauch sein Publikum auf der Bühne im Theater im Gewölbe regelmäßig in die Welt der Weimarer Klassik – „Faust I“, „Goethe trifft Hesse“ oder „Der erotische Goethe“ gehören zu seinem Repertoire. Zur Einstimmung auf unsere kleine Rundtour springt er erst einmal aufs Podium und lässt den Osterspaziergang aus Faust I lebendig werden. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, beginnt Rauch. Die berühmte Szene schildert das erwachte Leben und mündet in den Ausruf „Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ So ermuntert starten wir zu unserem Rundgang.

Zu Goethes Zeit hatte Weimar gerade mal 6.100 Einwohner, für ihn ein Ort mit kurzen Wegen, und heute, da wir seinen Spuren folgen, auch für uns. Gleich ums Eck, am Burgplatz 1, hatte der Geheimrat 1776–77 seine erste Wohnung. Heute liegt dort das ACC (ursprünglich das Autonome Cultur Centrum), eine avantgardistische Galerie mit Café. Im Keller darunter lagerte Goethe seinen Wein, alten Rechnungen zufolge auch 100 Bouteillen Champagner. Gewiss ein Quell schönster Anregungen beim Dichten.

Wieder sind es nur wenige Meter bis zum nächsten Stopp am Stadtschloss. Hier könnte es gewesen sein, wo Goethe der Hofgesellschaft schon früh aus seinem „halbfertigen Faust“, wie er es nannte, vorgelesen hat. Ein Hoffräulein schrieb fleißig mit, ihr Manuskript wurde erst hundert Jahre später entdeckt und 1877 als „Urfaust“ publiziert. Ins Schloss selbst können wir nicht, es wird bis 2030 umfassend saniert. Aber schon an der Einfahrt öffnet sich der Blick auf den herrschaftlichen Innenhof. Eine Kulisse wie die Kaiserpfalz in Faust II? „Gut denkbar, dass Goethe dieses Bild vor Augen hatte“, sagt Peter Rauch.

Kaum haben wir hinter dem Stadtschloss die Sternbrücke gequert und sind zum Park an der Ilm hinuntergestiegen, gelangen wir zur Sphinxgrotte. Goethe könnte das mythologische Motiv des Reliefs gefallen haben: Auf dem Weg zu seinem Gartenhaus nahe der Ilm kam der Dichter oft daran vorbei. Und nicht zuletzt in Faust II machte er die Rückbesinnung auf die Ideale von Kunst, Kultur und Menschlichkeit in der Antike zum zentralen Thema, tauchte tief in die griechische Sagenwelt ein, ließ seinen Helden sich obendrein verzehren nach Helena, der schönsten Frau des Altertums.

Aufs Stichwort schlüpft Peter Rauch in ihre Rolle und zitiert die Worte, mit denen sie im dritten Akt erscheint: „Helena, bewundert viel und viel gescholten, vom Strande komm ich, wo wir erst gelandet sind. Erobert bin ich; ob gefangen, weiß ich nicht.“ Rauch hält inne, schüttelt kurz den Kopf. Tja, Goethe und die Frauen. „Wir bewundern ihn ja für sein universelles Denken. Für seine Gabe, im Faust aufzuzeigen, welche Abgründe sich beim Streben der Menschen nach Liebe, Wissen und Macht auftun. Aber bei meinen Theaterabenden erlebe ich auch, dass Schülerinnen entsetzt sind, wie sich Faust an Gretchen ranmacht.“ Ein Me-too-Skandal mit üblen Folgen: Die Mutter stirbt an den Tropfen, die sie betäuben sollen, damit sie die Liebesnacht nicht mitbekommt, Gretchen wird schwanger und in ihrer Verzweiflung schließlich zur Kindsmörderin. „Ein harter Stoff“, sagt Rauch, „die historischen Fälle, die Goethe da verarbeitete, spielten in Frankfurt und Stralsund.“

Weimar ist nie selbst Ort der Handlung – und gilt dennoch als Mittelpunkt der Faustgenese, denn in Goethes mehr als 50-jährigem Schaffensprozess wurde die ganze Stadt zu einer Denkwerkstatt. Goethes Gartenhaus steht am Rande des Parks an der Ilm. Er liebte es, gestaltete das Grundstück, wählte die Pflanzen aus, beobachtete das Werden und Vergehen. Hier schrieb er die Ballade vom Erlkönig und das Gedicht „An den Mond“. Auch das Faustprojekt profitierte von seiner Auseinandersetzung mit der Natur, die er als Sehnsuchtsort beschreibt, in dem die Menschen gleichermaßen geborgen und gefangen sind.

Osterspaziergang mit Pudel im Park an der Ilm

Eine Frau mit Hund kommt des Wegs. Peter Rauch hat gleich den passenden Text parat: „Betracht ihn recht! Für was hältst du das Tier?“, fragt Faust während des Osterspaziergangs seinen Schüler Wagner. „Für einen Pudel“, antwortet der. Doch Faust scheint alarmiert: „Bemerkst du, wie er immer näher jagt? Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel auf seinen Pfaden hinterdrein.“ Später, in seiner Studierstube, entpuppt sich das Tier nach einem dreifach glühenden Blitz als Mephisto. „Das also war des Pudels Kern!“, lautet Fausts wohlbekannter Kommentar. Im Weimar der Gegenwart geht es auch ohne Pulverdampf und Schwefelhauch. Da stellt uns die nette Besitzerin ganz einfach ihre Halbpudelin Klara vor.

Wir lassen das Shakespeare-Denkmal links liegen und steigen hinauf in Richtung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die das Themenjahr mit ihrer bedeutenden Faustsammlung bereichert. An der Ecke steht verlassen das Haus der Frau vom Stein. Doch das ist eine andere Geschichte. Sie handelt in Teil I von unerfüllter Sehnsucht. Mehr als 1.700 Liebesbillette hat Goethe ihr geschrieben, der Briefwechsel ist ein Klassiker der Klassik. Teil II ist ein Klassiker des Kapitalismus, er handelt vom unbedarften Verscherbeln historischer Stätten an einen spanischen Investor. Durch die enge Seifengasse geht es zu Goethes weltberühmtem Wohnhaus am Frauen - plan, der beeindruckenden Forschungs- und Ausstellungsstätte.

Unter Eckermanns Wohnung wird heute Pizza gebacken

Schließlich biegen wir in die Brauhausgasse ein. Peter Rauch zeigt auf die Gedenktafel an dem Haus, in dem Goethes Freund, Sekretär und Vertrauter Johann Peter Eckermann lebte. Ferienwohnungen und eine Trattoria schmücken sich heute mit dem wohlbekannten Namen. Für Besucher mit Bildungshunger empfiehlt Rauch Eckermanns Aufzeichnung über seine Gespräche mit Goethe, in denen der Dichter sich auch sehr kritisch zu seinem Faust äußert. Zwei Querstraßen weiter kommen wir zum Deutschen Nationaltheater.

2025 steht natürlich Faust auf dem Programm, aber auch Hamlet. Das Schauspiel sucht den Gegenwartsbezug und setzt auf Stücke, in denen die meisten der Figuren um Zuversicht in Zeiten von Umbrüchen ringen, heißt es in der Ankündigung. Vor dem Gebäude wacht die Doppelstatue von Schiller und Goethe. In dem renommierten Haus hat Peter Rauch von 1972 bis 1997 Theater gespielt, unter anderem in den drei großen Faust-Inszenierungen jener Jahre. Die älteren Kolleginnen und Kollegen begrüßen ihn mit Handschlag, öffnen die Bühne für ihn. Das Purpur des Vorhangs ist seine Kulisse für das Schlusswort zu unserer Weimar-Exkursion. Drei Engel sprechen es am Ende von Faust II: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“

 

Goethes Faust
2025 - Das Jubiläumsjahr in Weimar

Faust im Theater, Faust im Museum, Faust auf den Straßen – überall feiert Weimar 250 Jahre nach Goethes Ankunft dessen Hauptwerk und lädt dazu ein, sich den klassischen Stoff neu zu nähern, vieles wiederzuerkennen und vielleicht sogar das eigene Schul-Faust-Trauma – soll es ja geben - vergessen zu machen.

 

Text: Peter Meroth, CMR Cross Media Redaktion GmbH
Titelbild: Isabela Pacini, CMR Cross Media Redaktion GmbH, Thüringer Tourismus GmbH

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