Kleine Stadt ganz groß

Mühlhausen

Während des Bauernkriegs rückte Mühlhausen ins Zentrum des Geschehens. Die Vergangenheit ist hier bis heute lebendig – in einem idyllischen, liebevoll restaurierten Umfeld.

Als Erstes heißt es natürlich: rein ins Rathaus. Nicht, weil wir einen Antrag zu stellen hätten, sondern weil das bunt bemalte, gotische Steintor mit seinen gedrungenen Säulen viel zu schön ist, als dass man daran vorbeigehen könnte. Drinnen führt eine knarzende Holztreppe nach oben, an Buntglasfenstern vorbei bis in die große Rathaushalle. Ein prächtig ausgemaltes Tonnengewölbe spannt sich über den Raum, in dem ein Konzertflügel auf seinen nächsten Einsatz wartet. Heute finden in der Mühlhauser Rathaushalle Kulturevents und Empfänge statt, aber vor 500 Jahren wurden hier ganz andere Töne angeschlagen.

Da wurde auf den Tisch gehauen, da wurde, vom Kampfgeist beseelt, der Aufstand in die Wege geleitet: Am 17. März 1525 berief Thomas Müntzer – Prediger in der Mühlhauser Marienkirche – in der Rathaushalle den „Ewigen Rat“, der alle Bevölkerungsschichten repräsentieren und der Alleinherrschaft der Patrizier über die Stadt ein Ende setzen sollte. Nur zwei Monate später fand der Plan in der Schlacht von Bad Frankenhausen sein blutiges Ende. Ein großes Gemälde aus den 1960er-Jahren, das in der Rathaushalle an der Wand hängt, zeigt, wie wir uns den Auftakt im Rathaus damals vorzustellen haben: gestikulierende Oppositionelle aus der städtischen Unterschicht, umgefallene Stühle, Diskussionen, im Zentrum ein Müntzer, der mit seinen Händen eine Vision in die Luft zu malen scheint. Und schon sind wir mittendrin im Thüringer Bauernkrieg. Dabei wollten wir doch nur einen kleinen Stadtspaziergang machen.

Der Blick auf die Altstadt lässt uns nostalgisch schwärmen

Doch so ist das nun einmal in dieser Stadt: Die Geschichte mit ihren Geschichten begegnet uns auf Schritt und Tritt. Ach, Mühlhausen! Was für ein Juwel wir mit dir entdeckt haben! Es ist, als hätten Spielzeugbauer eine mittelalterliche Idealstadt an die Unstrut im Nordwesten Thüringens gesetzt. Perfekt restaurierte, ziegelgedeckte Fachwerkhäuser ducken sich rund um die Marienkirche, deren gotische Türme so hoch und nadelspitz in Richtung Himmel jagen, dass man den Kopf weit in den Nacken legen muss. Die Gassen sind herrlich krumm, das Kopfsteinpflaster, über das unsere Absätze klackern, ebenfalls.

Modernes Leben? Gibt es auch; einmal mittendurch verläuft schnurgerade der Steinweg, wo die Menschen beim Bäcker und in der Drogerie einkaufen und vor dem Eiscafé San Marco Cappuccino trinken. Das gesamte Szenario wird nahezu vollständig von einer meterdicken Stadtmauer umarmt, auf deren Wehrgang wir jetzt eine kleine Runde drehen: Der Blick auf die Altstadt mit ihren steilen Ziegeldächern und romantischen Gärtchen lässt uns in schönste nostalgische Schwärmereien geraten.

„Mühlhausen ist das zweitgrößte Flächendenkmal Thüringens“, begeistert sich Stadtführer René Jahn, der uns begleitet. „Und es wurde nach der Wende vorbildlich restauriert.“ Der 60-Jährige kommt ursprünglich aus der Baubranche, hat aber aus lauter Faszination für die Geschichte unlängst auf Stadtführer umgesattelt und zeigt uns nun engagiert all die kleinen Details, die wir sonst übersehen hätten: hier die eingeritzten Signaturen der Steinmetze in den Kirchenportalen. Da die idyllisch dahinfließende Schwemmnotte. So heißt das Bächlein, das immer wieder zwischen den Fachwerkfassaden auftaucht und das früher einmal 15 innerstädtische Mühlen betrieben hat. Und dort die irgendwie leicht gekippt aus dem Dächermeer herauswachsenden Zwillingstürme der Divi-Blasii-Kirche.

„Da hat sich unter dem Gewicht der Türme der Boden gesenkt“, erklärt René den Schiefstand. Was im Jahr 1707 den jungen Johann Sebastian Bach aber nicht daran hinderte, in der gotischen Kirche als Organist anzufangen. Die heutige Orgel, erzählt René weiter, sei erst 66 Jahre alt, aber nach Bachs Vorstellungen gebaut worden. Auf Anregung von Albert Schweitzer, der, wie wir überrascht erfahren, nicht nur Arzt und Philosoph war, sondern auch als Organist in der sogenannten Orgelreformbewegung aktiv. Die setzte sich im 20. Jahrhundert für die Rückkehr zu Orgeln ein, die nicht nur so dumpf-romantisch klangen, wie es der Zeitgeist erforderte, sondern zugleich auch so hell und strahlend, wie es die Musik aus der Barockzeit brauchte.

Turmgeschmücktes Mühlhausen – der Titel passt immer noch

Wie gut das in der Divi-Blasii-Kirche gelungen ist, könnten wir beim halbstündigen Orgelkonzert überprüfen, das zwischen Erntedank und Pfingsten immer mittwochs um zwölf Uhr stattfindet. Weil heute leider Dienstag ist, flanieren wir weiter. Zehn weitere mittelalterliche Kirchen gäbe es zu besuchen. Das klingt nach viel, ist aber wenig im Vergleich zu den ursprünglich 59 Türmen, die sich einst auf dem Stadtgebiet drängten. „Mulhusia turrita“ wurde die Stadt früher genannt – turmgeschmücktes Mühlhausen. Wir finden, es passt auch heute noch gut.

Als wir das schwere Portal der Jakobikirche aufdrücken, empfängt uns Frauengelächter. Statt Chorgestühl ragen Buchregale im Kirchenschiff auf. Moderne Eisentreppen führen zu abgehängten Zwischendecken mit weiteren Regalen. Zwei Frauen rücken Sessel hin und her. Die Jakobikirche, die schon lange profaniert ist, fungiert seit 2004 als Stadtbibliothek. „So dürfte es gehen!“, schnauft Bibliotheksleiterin Henrike Degenhardt und blickt auf das Sitzarrangement. Morgen ist Literaturlesung. Ihre Freundin Heike Strecker nickt. Ihr gehört die Buchhandlung an der Marienkirche. Doch ihre Lesungen richtet sie lieber in der Stadtbibliothek aus. Da ist mehr Platz als im Laden, wo die lebhafte Mühlhäuserin nicht nur Bücher verkauft, sondern auch Papierwaren, Geschenke – und frisch gebrühte Kaffeespezialitäten.

Neugierig stecken wir am nächsten Tag die Nase durch die Tür. Heike Strecker versorgt gerade einen Kurier, der Bücherpakete abgeladen hat, mit selbst gebackener Baisertorte. „Wir haben eine tolle Community in Mühlhausen“, schwärmt sie. „Die Menschen halten zusammen.“ Ob das noch der Geist der ehemals freien Reichsstadt ist? Einer Stadt, die auf ihre Autonomie stolz war und sich höchstens vom Kaiser etwas hat sagen lassen? In der Thomas Müntzer den Mut fasste, gegen die gottlosen Fürsten in die Schlacht zu ziehen? „Apropos Bauernkriege“, sagt die Buchhändlerin. „Wart ihr schon im Brauhaus zum Löwen?“ In dem historischen Gasthaus würde jetzt Freiheitsbier ausgeschenkt.

Und so klingt unser Mühlhausen-Besuch vor einer weiteren mittelalterlichen Kirche aus. Im Schatten der Linden lassen wir uns an einem der Gasthaustische nieder. Wirt Marco Fongern serviert „Fünfzehn 25“, ein Bier, das er aus Anlass des Bauernkriegs-Gedenkjahrs hat brauen lassen. Es schmeckt kräftig, obergärig, würzig – „So, wie man es sich vor 500 Jahren gewünscht hätte, als das Bier dünn und sauer war“, erklärt Marco die Rezeptur. Wir stoßen an. Auf die Freiheit. Und auf Mühlhausen.

 

Gedenkjahr - 500 Jahre Bauernkrieg
Veranstaltungen in Mühlhausen

FreiCAST zum Anhören

 

Landesausstellung 2025:
Tickets für die Ausstellungsorte in Mühlhausen

Im Museum St. Marien | Müntzergedenkstätte wird die ländliche Gesellschaft des 16. Jahrhunderts vorgestellt. Das Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche präsentiert die Geschehnisse der Jahre 1524/25, während im Kulturhistorischen Museum die Rezeption und Deutung des Bauernkriegs, von der frühen Neuzeit bis heute, im Mittelpunkt stehen.

Tickets für Mühlhausen (26.04. – 18.10.2025) können hier gebucht werden:

(Ticket-Anbieter: Touristinformation Mühlhausen)

 

Altstadtführungen durch Mühlhausen:
Themenschwerpunkt „500 Jahre Reformation und Bauernkrieg“ 

Im Rahmen der Landesausstellung „freiheyt 1525 - 500 Jahre Bauernkrieg“ vom 26.04.2025 bis 19.10.2025 wird jeden 1. Sonntag im Monat, um 11:00 Uhr eine öffentliche Altstadtführung mit dem Themenschwerpunkt „500 Jahre Reformation und Bauernkrieg“ angeboten.

Tickets für die Altstadtführungen können hier gebucht werden:

(Ticket-Anbieter: Touristinformation Mühlhausen)

Text: Annette Rübesamen/ CMR Cross Media Redaktion GmbH
Titelbild: Gert Krautbauer ist ein bekannter Fotograf aus der Metropolregion München.

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