Hier liegt ihr richtig! Ob in der Natur, mitten in der Stadt, für Familien, im Grünen, historisch oder traditionell: Unter Thüringens TOP-Gastgebern findet jede:r genau die passende Adresse.
Lasst uns an die Grenzen gehen
Das Grüne Band Thüringen
Das war also Korberoth. Ein Weiler aus dem 14. Jahrhundert an einem Dorfteich. Vier Gehöfte. Einsam gelegen in den sanft gewölbten Ausläufern des Thüringer Walds, nur einen Katzensprung von der Grenze zu Bayern entfernt. Felder und Wälder, wohin das Auge blickt. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten hier noch etwa 20 Menschen. Und heute? Ist da nur noch eine Ahnung von Fundamenten im hohen Gras. Kirschbäume, deren Früchte niemand mehr pflückt. Mächtig rauscht der Wind durch alte Eichen, bewegt das Schilfgras am Teich. Sonst ist es ganz still. Kein Mensch weit und breit. Unter den Bäumen stehen vier Ruhebänke aus Holz, eine für jedes Gehöft. Daneben eine Gedenktafel. „Erinnerungsort Korberoth 1344 – 1984“ steht darauf. Denn Korberoth gibt es nicht mehr.
Das Dorf wurde geschleift. Es lag im Weg, eingepfercht zwischen der immer stärker befestigten Staatsgrenze der DDR zum Westen und einem anderen Zaun, der die sogenannte Schutzzone im Thüringer Landkreis Sonneberg markierte. „Irgendwann kamen die Bewohner von Korberoth nirgendwo mehr hin. Weder nach Bayern noch in ihr Thüringer Nachbardorf Effelder“, erzählt Ralf Kirchner vom Naturpark Thüringer Wald. „Die letzten Bewohner wurden 1984, fünf Jahre vor dem Mauerfall, zwangsumgesiedelt. Und das Dorf dem Erdboden gleichgemacht.“ Wir nicken bestürzt.
Wir wandern durch unberührtes Grün. Und durch viel Geschichte
Wir wandern auf dem Grünen Band. So heißt der bis zu 200 Meter breite Geländestreifen zwischen der ehemaligen innerdeutschen Grenze und den Grenzbefestigungen auf der östlichen Seite. Ein Grünstreifen, den zwischen 1952 und 1989 so gut wie kein Mensch betrat. Und der heute ein gesamtdeutsches Naturschutzprojekt ist. Denn bedrohte Tier- und Pflanzenarten gediehen prächtig im menschenleeren Sperrgebiet. In Thüringen liegt knapp die Hälfte des insgesamt 1.400 Kilometer langen Grünen Bands. Wir sind ganz im Süden unterwegs, in der Gemeinde Frankenblick, Landkreis Sonneberg. Drei Kilometer Luftlinie vom bayerischen Neustadt bei Coburg entfernt. In festen Schuhen und mit geschultertem Rucksack laufen wir an der ehemaligen Grenze entlang. Denn das Grüne Band in Thüringen ist nicht nur Nationales Naturmonument, sondern auch exzellentes Wandergebiet. Wo ein halbes Jahrhundert lang gespäht, patrouilliert und auch geschossen wurde, lässt sich heute auf speziell ausgewiesenen Wanderrouten durch unberührtes Grün spazieren. Und immer auch: durch die Geschichte.
Thüringen und sein Grünes Band
Wir sind auf dem „Naturpark-Weg Generalsblick“ unterwegs, einer erst 2024 eingeweihten, neun Kilometer langen Rundtour. Ralf Kirchner hat sie mitgestaltet, denn er ist nicht nur Wanderführer, sondern auch Kreis-Wanderwegewart und kennt jeden Stein hier. Auch Ute Müller-Gothe wandert mit, die Bürgermeisterin von Frankenblick. Gemeinsam stellen wir fest: Die Naturlandschaft am Grünen Band ist wunderschön – und steckt voller Artenvielfalt, auf die Ralf uns immer wieder sachkundig hinweist: Wir laufen an Wildbirnen vorbei, über sandige Heidewege und freuen uns über leuchtende Gelbe Schafgarbe, in der die Bienen summen. Schafsköttel liegen herum, und über Weißdorn, Hartriegel und Schlehenbüsche geht der Blick weit ins Land hinein.
Wir kommen kaum vom Fleck, weil es so viel zu bereden gibt
„Himmelreich“ heißt dieses Stück Landschaft. Etwas weniger paradiesisch wird es, als wir vom Sandweg auf den Kolonnenweg überwechseln. Die legendären Lochplattenwege, die auf DDR-Seite unmittelbar neben dem Grenzzaun verliefen, sind bis heute bestens erhalten – allein in Thüringen gibt es sie auf 470 Kilometern. Prinzipiell wunderbare Wanderwege, doch mit ein paar Einschränkungen: Weil die Wege exakt dem Grenzverlauf zu folgen hatten und nicht der Maximierung des Wandervergnügens, kommen wir bergauf teilweise ganz schön ins Schnaufen. Und können bergab unsere Knie ächzen hören. Dass wir manchmal mit den Schuhen in den Aussparungen in den Betonplatten hängenbleiben – geschenkt.
Schwerer wiegt die historische Last. Ralf erzählt, wie auf den Kolonnenwegen die Grenztruppen der DDR patrouillierten. „Tag und Nacht, bei knallender Sonne oder strömendem Regen, waren Zweiertrupps zu Fuß unterwegs. Unzählige Stunden am Stück mussten sie laufen und durften nicht miteinander sprechen.“ Warum? Damit sich keine systemgefährdenden Freundschaften bildeten. Brutale Details des deutsch-deutschen Grenzalltags. Schon bleiben wir wieder stehen und reden. Das ist die große Herausforderung der Wanderungen auf dem Grünen Band: Man kommt kaum vom Fleck, weil es so viel zu erzählen und zu bereden gibt. Die Grenze ist weg; sie trennt nicht mehr, sondern verbindet jetzt, da wir gemeinsam darüber sprechen, voneinander wissen wollen, da Ost und West sich zuhören. „Wie war das damals für euch?“, fragen wir. „Es war klar, dass wir nie rüberkommen würden“, sagt Ute. Dabei habe man das andere Deutschland liegen sehen, unten in der Ebene. Die Giebelhäuser von Neustadt. Den lang gestreckten Muppberg. Die Feste Coburg. „Aber so war es halt“, sagt Ute achselzuckend. „Eine Tatsache.“
Besonders lange gucken wir vom Generalsblick in Richtung Westen. So heißt ein ehemaliger Beobachtungspunkt etwa auf halber Strecke unserer Rundtour. Hierher wurden zu DDR-Zeiten die Generäle der sozialistischen Bruderstaaten eingeladen. Doch nicht den Blick nach Bayern sollten sie bewundern, sondern die „Staatsgrenze West“, die hier mit drei Schutzzäunen besonders stark gesichert war. Heute stehen Picknickbänke am Generalsblick. Nicht für Militärs, sondern für friedliche, hungrige Wandernde wie uns. Ute, die Bürgermeisterin, packt Brötchen und Thüringer Bratwürste aus. „Wo liegt eigentlich der Unterschied zur Fränkischen Bratwurst?“, frage ich. Und schon entspannt sich eine hitzige Debatte um Brätstruktur, Fettgehalt, Majoran und Kümmel. Auf kulinarischem Gebiet wurden offenbar keine Grenzen niedergerissen. Aber das ist ja vielleicht auch ganz gut so.
Auf der Website erfahrt ihr mehr über das Wandern auf dem Grünen Band.
Titelbild: Gert Krautbauer ist ein bekannter Fotograf aus der Metropolregion München.
Text: Annette Rübesamen/ CMR Cross Media Redaktion GmbH
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